Weiß, Marian: Die mittellateinische Goliardendichtung und ihr historischer Kontext
Weiß, Marian: Die mittellateinische Goliardendichtung und ihr historischer Kontext
Die zwischen 1100 und 1250 überwiegend in Nordfrankreich und England entstandene „Goliarden-“ oder „Vagantendichtung“ gilt der Forschung einstimmig als ein Höhepunkt mittellateinischer Literatur. Dabei vermag sie Philologen und Historiker gleichermaßen zu reizen: Ihre Akzentuierung profaner Themenfelder wie Sexualität, Alkoholismus oder Glücksspiel einerseits und scharfer Kritik an sozialen Klein- und Großgruppen besonders des Klerus andererseits scheint uns inkompatibel mit ihren geistlichen Verfassern, die fest in die Kirchenhierarchie integriert waren und teilweise bedeutende Ämter innehatten. Die daraus entstehende Brisanz stellt nicht nur die moderne Mediävistik vor gravierende methodische Probleme, sondern wurde bereits von den Dichtern selbst erkannt und - zumeist mit Mitteln des Humors - gezielt auf die Spitze getrieben.
Mein Anfang 2014 begonnenes, von Prof. Dr. Christine Reinle und Prof. Dr. Helmut Krasser betreutes Dissertationsprojekt wird mit einer systematischen Untersuchung nicht nur ihrer Verfasser, sondern besonders ihrer Entstehungs- und Zielorte die historische Kontextualisierung dieser Quellen erforschen und damit ihre Funktion bzw. Intention zu erklären versuchen. Hierfür wird eine große Quellenbasis von ca. 500 Gedichten analysiert und typisiert sowie deren Verbindung zu potentiellen Orten wie Schule, Universität, Hof oder Kloster gesucht, um schließlich die „Goliardendichtung“ in deren Spannungsfeld verorten zu können.
Die Dissertation bedient sich gezielt interdisziplinären Ansätzen, wählt ihren Schwerpunkt aber bewusst in der Geschichtswissenschaft, für die zunächst die konkrete Ortsfrage Erkenntnisse für beispielsweise Bildungs- und Schulgeschichte, Hofgeschichte und Klostergeschichte erwarten lässt. Darüber hinaus stellt die erhebliche geistige Freiheit ihrer geistlichen Verfasser ein interessantes Zeugnis für die hochmittelalterliche Geistes-, Mentalitäts- und Frömmigkeitsgeschichte dar. An diesen infra- und interdisziplinären Knotenpunkten positioniert sich die Dissertation, um mit der Erforschung der „Goliardendichtung“ diese bemerkenswerten Textzeugnisse in die größeren historischen Zusammenhänge einzuordnen.
Hochmittelalter, Literatur, Bildung, Mentalitäten, Frankreich, England
Moyen Âge central, littérature, éducation, mentalité, France, Angleterre